Diese Frau aus Sachsen braut das Bier des Jahrzehnts
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Mit über 6000 Mitgliedern ist der Probier-Club Deutschlands größte Konsumentenvereinigung. Jetzt hat der Club das Bier des Jahrzehnts gekürt. Es kommt aus Gersdorf bei Chemnitz.
Gersdorf. Im Büro von Astrid Peiker liegt ein getrockneter Blumenstrauß. „50 weiße Rosen. Den hebe ich auf“, sagt sie und kneift etwas die Augen zusammen. Zu ihrem 50. Geburtstag vor wenigen Tagen habe es einen Anruf gegeben. Sie solle schnell in die Abfüllhalle kommen, es gebe da ein Problem. „Das war eigentümlich. In der Verwaltung war keiner mehr, und im Hof auch keine Menschenseele.“ Angekommen in der Halle, wusste die Chefin der Glückauf-Brauerei in Gersdorf (Landkreis Zwickau) auch warum. „Da waren alle im Halbkreis versammelt und wollten gratulieren.“
Außer den weißen Rosen gab es auch ein Geburtstagsbier mit ihrem Konterfei auf dem Etikett. „Die Flasche war mit aufwendig gefalteten Geldscheinen dekoriert. Ich war hin und weg“, sagt die Brauerin.
Ein Drittel weniger Umsatz wegen geschlossener Gastronomie
„Meine Mutter hat immer gesagt: Chefs bekommen kein Lob. Größter Dank ist, wenn niemand murrt.“ Diese Worte im Ohr, hat sie der herzliche Empfang im Kollegenkreis so umgehauen.
Und noch aus einem weiteren Grund. „Die Zeiten sind gerade richtig hart“, erklärt sie. Weil die Gastronomie seit Monaten dicht ist, setzen die Gersdorfer kein Fassbier ab. „Ein Drittel vom Umsatz macht das aus. Der fehlt.“ Ein Großteil der Belegschaft ist deshalb in Kurzarbeit.
Astrid Peiker ist seit 2013 Geschäftsführerin. Schon als Kind war sie oft im Unternehmen. Die Mutter war stellvertretende Leiterin im damals noch zum VEB Getränkekombinat Karl-Marx-Stadt gehörenden Betriebsteil. Die Mutter war es auch, die den Betrieb zur Wende privatisiert und so in eine neue Zukunft geführt hat.
„Die Zeiten sind gerade richtig hart. Weil die Gastronomie seit Monaten dicht ist, setzten wir kein Fassbier ab.“
23 Mitarbeiter sind heute bei der Glückauf-Brauerei beschäftigt. Ob es der fast familiäre Zusammenhalt ist, die Liebe der Erzgebirgler zur ihrem Bier oder das seit Gründung der Brauerei 1880 „vererbte“ Brautalent – die Gersdorfer haben ein Händchen bei der Herstellung ausgewöhnlich gut schmeckender Biere. Zahlreiche Preise haben ihre Kreationen schon abgeräumt.
Passend zum Tag des Bieres an diesem Freitag gibt es die nächste Auszeichnung. Der 1998 gegründete Probier-Club Deutschland kürt das „Gersdorfer Ale“ zum Bier des Jahrzehnts. Der von den beiden Diplom-Bier-Sommeliers Matthias Kliemt und Frank Winkel gegründete Club zählt 6000 Bierliebhaber aus der ganzen Welt zu seinen Mitgliedern. Darunter sind auch einige Prominente wie der Ex-Fußball-Manager Reiner Callmund, der Schauspieler Leonhard Lansink, der Sportreporter Rolf Töpperwien oder der Fernsehkoch Horst Lichter. „Monatlich erhalten die Mitglieder ein Paket mit mehreren Flaschen und können so das Bier des Monats bestimmen. Am Ende des Jahres wählen sie dann das Bier des Jahres“, erklärt Sommelier Winkel.
7000 Biermarken aus 1400 deutschen Brauereien
Bei Reisen für ein Marktforschungsinstitut kamen die Dortmunder Winkel und Kliemt auf die Idee, die regionalen Biere bekannter zu machen. „Im Bierland Deutschland gibt es 7000 verschiedenen Biermarken aus rund 1400 deutschen Brauereien. Man könnte – rein theoretisch – über 19 Jahre lang jeden Tag ein anders Bier trinken.“ Allerdings, so Winkel, findet man in den Kaufhallen und Supermärkten nur ganz wenige Biermarken und meist nur die von den großen Herstellern.
Bei ihren Touren durch die deutsche Brauereilandschaft stießen die Bier-Kenner auch auf das Ale aus Gersdorf. Nach Abstimmung durch die Fangemeinde wurde es 2016 bereits zum Bier des Jahres gewählt. Damit ist es zugleich in der Wahl zum Bier des Jahrzehnts.
„Ausgezeichnet werden kann nur ein Bier, wenn es nach traditionellen Verfahren hergestellt wird“, sagt Winkel und präzisiert: „Es muss eine handwerklich gelungene Bierspezialität sein mit einem eigenen Charakter, der sich positiv von den Mainstream- oder auch Fernsehbieren absetzt, also von den Bieren, die man aus der Werbung kennt.“
Aromen von Kiwi, Maracuja, Grapefruit und Pinienharz
Beim Ale aus Gersdorf kommt Winkel schnell ins Schwärmen. „Es hat eine feine und stabile Schaumkrone im Glas. Wunderbar stimmig ist das Aromenspiel aus fruchtig-zitral und harzig-herb.“ Und weiter: „Man schmeckt Aromen von Maracuja, Grapefruit, Kiwi und Pinienharz auf der Zunge.“ Das sei „hohe Braukunst“, „Biergenuss vom ersten bis zum letzten Schluck“.
Aber wie gelingt nun eine so gepriesene Spezialität? „Anders als andere stellen wir unser Ale nicht ober- sondern untergärig her“, erklärt Braumeister Gerd Grießbach. Im Kalthopfungsverfahren würden vier verschiedene Hopfensorten erst spät – und das sei wichtig – dem Herstellungsprozess zugeführt, so dass sie ihre Würze voll entfalten könnten.
Neben dem ausgezeichneten Geschmack muss noch erwähnt werden, dass das „Gersdorfer Ale“ 6,5 Prozent hat. Beim Anstoßen auf den tollen Preis werde man das auf jeden Fall im Blick behalten, meint Braumeister Grießbach.
Artikel aus der LVZ.de – Leipziger Volkszeitung
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Foto: Andreas Dunte